Regress bei Transporten in Italien
1. Außergerichtliche Chancen der Anerkennung des Regressanspruchs
1.1 Die Erfolgsaussichten
Regressansprüche bei Transporten mit Auslandsberührung zu Italien, die dort durchgesetzt werden müssten, bleiben sehr oft ohne Bearbeitung, weil man der Ansicht ist, dass die hohen Streitkosten und die lange Prozessdauer, im Gegensatz zu den für den Frachtführer bei nationalen Transport extrem günstigen Haftungsbegrenzungen, einen Erfolg in der Durchsetzung des Rechts, der konkrete Vorteile bringen soll, nicht ermöglichen werden.
Dies ist sehr oft, zumindest teilweise und im unten beschriebenen Maße, nur ein Vorurteil.
Als allererstes ist zu berücksichtigen, dass es nicht unbedingt zum Prozess kommen muss.
1.2 Die wichtige Rolle der Verkehrshaftungsversicherung
Italienische Frachtführer sind verpflichtet, eine Lizenz zu haben und werden im entsprechenden Berufsregister geführt
(abrufbar unter http: / / www. alboautotrasporto.it/index.php?option=com_wrapper&view=wrapper&Itemid=206).
Ein dort geführtes Unternehmen wird üblicherweise eine Verkehrshaftungsversicherung abgeschlossen haben.
Um beim Fokus zu bleiben wird hier nicht das weitere Vorhandensein einer Warenversicherung oder die Figur des Frachtführers/Spediteurs analysiert.
Erfahrungsgemäß ist die Wahrscheinlichkeit einer außergerichtlichen Regelung des Regressanspruchs beim Transportversicherer des italienischen Transporteurs, unter gewissen Voraussetzungen, absolut existent und konkret.
1.2.1 Die Kontaktaufnahme zu dem Versicherer
Ein konkretes Problem, das sich immer wieder aufzeigt, ist die Kontaktaufnahme mit dem Versicherer, der nicht gegenüber dem Geschädigten oder Regressführenden haftet sondern vielmehr nur mit dem Frachtführer/Versicherungsnehmer einen direkten Vertragskontakt hat.
Die Kooperation des Frachtführers ist somit Voraussetzung, um diesen Weg zu gehen. Dies beginnt mit der Mitteilung der Daten der Versicherungspolice an den Auftraggeber. Ein sehr einfacher Tipp, der aber nicht immer praktikabel ist oder praktiziert wird, ist, dass diese Daten schon bei Auftragserteilung bekanntgegeben werden sollten.
Sollte man Kontakt zum Versicherer bekommen können, wird dieser normalerweise kein Interesse an einem Prozess zeigen, wenn dieser nur unnötige Nebenkosten erwarten lässt.
Dann kann man auch direkt beim Versicherer prüfen, ob der Frachtführer den Fall mit der nötigen Sorgfalt bearbeitet.
Der Versicherer wird gleich nach Eröffnung eines Schadensfalls sämtliche Unterlagen verlangen (Schadensanzeige, Frachtbrief, Rechnungen, Packing List, falls vorhanden, Fotos, falls vorhanden, Strafanzeige bei Diebstahl oder Raub) und die Möglichkeit haben wollen, den Schaden direkt über einen Gutachter ermitteln und prüfen zu können.
Der Geschädigte ist verpflichtet, den Schaden möglicherweise zu mindern.
1.3 Checkpoints
Wichtige Punkte, die beachtet werden müssen:
a) Anzeige innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen Frist
b) Haftung
c) Ausschluss- und Verjährungsfrist
d) Aktivlegitimation
e) Lückenloser Nachweis des Schadens und der Schadenshöhe
f ) Kausalität.
Es ist absolut denkbar, dass ein Schadensfall, der in allen obigen Punkten keinen Mangel aufweist, in wenigen Monaten, manchmal sogar Wochen, erledigt werden kann.
Entscheidend ist hier allerdings, wie schnell man die Sache mit dem Versicherer bearbeitet.
1.4 Frachtvertrag
Auf jeden Fall sind beim Versicherer einwandfreie Unterlagen bezüglich des Transports vorzulegen.
Besonders wichtig ist hier ein Frachtbrief (»waybill«), in Italien D.D.T., im europäischen Verkehr »CMR«, der vom Transporteur und vom Auftraggeber zum Nachweis der Übernahme der Ware gestempelt, unterschrieben und mit Ort, Datum und Uhrzeit versehen sein muss.
Diese Unterschriften begründen nicht nur den Frachtvertrag, sondern auch die sogenannte widerlegbare Beweisvermutung (Gut und Verpackung in äußerlich gutem Zustand; Anzahl der Frachtstücke, Zeichen und Nummern sind mit den Angaben im Frachtbrief übereinstimmend).
1.5 Anzeige des Schadens innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen Frist Andererseits darf es bei der Vermutung einer Beschädigung
keine Unterschrift zur Entlastung des Frachtführers geben. Auch eine Unterschrift, die bei der Lieferung am Ziel der Ware nur mit dem Vermerk »unter Vorbehalt«geleistet wird, kann im Nachhinein viele Probleme mit sich bringen.
Im Fall von nicht mit den Angaben im Frachtbrief übereinstimmender Anzahl der Frachtstücke, Zeichen und Nummern oder Gütern und Verpackung in äußerlich nicht gutem Zustand muss eine schriftliche Reserve schon auf dem Frachtbrief erfolgen.
Die Anzeige muss also sofort und schriftlich erfolgen.
1.5.1 Die gesetzlichen Fristen
Die Frist, die bei äußerlich nicht erkennbaren Schäden als Limit gilt, ist acht Tage ab Lieferungsdatum nach italienischem Gesetz (Art. 1698 codice civile) und sieben Tage nach Ablieferung – Sonn- und Feiertage ausgeschlossen – bei Anwendung des Art. 30 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), unter dessen Mitgliedsstaaten Italien ist.
Sollte ein Schaden an den Gütern oder sogar das Fehlen der Güter nach dieser Zeit angezeigt werden, würde eine eventuelle Klage abgewiesen; also wird der Versicherer dementsprechend keinen Schadensersatz leisten wollen.
1.6 Haftung
Der Versicherer wird auch prüfen, ob eine Haftung, begrenzt oder nicht, des Frachtführers in Frage kommt.
Die Haftung wird im italienischen Gesetz ähnlich der Haftung nach der CMR als verschuldensunabhängig gestaltet.
1.6.1 Die verschuldensunabhängige Haftung aus Art. 1693 codice civile Im Art. 1693 codice civile haftet der Frachtführer immer für
die Beschädigung oder den Verlust der übernommenen Ware, es sei denn, er kann einen »casus fortuitus« (Zufall) nachweisen oder ein Verschulden, das von Natur oder Mängel der Güter oder deren Verpackung oder von Handlungen des Auftraggebers oder des Empfängers abhängig ist.
1.6.2 Die begrenzte Haftung aus Art. 1696 codice civile Die Haftung ist aber im Gegenzug wertmäßig begrenzt.
Laut Art. 1696 codice civile beträgt der vom Frachtführer geschuldete Schadensersatz bei innerstaatlichen Transporten höchstens einen Euro für jedes Kilogramm des Bruttogewichts der verlorenen oder beschädigten Ware und darf bei internationalen Transporten jenen Betrag nicht übersteigen, der in Art. 23 Abs. 3 CMR vorgesehen ist1.
Der Frachtführer, der die verschuldensunabhängige Haftung nicht bestreiten will und sich daher bereit erklärt, die gesetzlich reduzierte Entschädigung zu bezahlen, muss nur nachweisen, dass er im Berufsregister eingetragen ist und deswegen die Haftungsbegrenzung beanspruchen kann.
1.6.3 Die Aufhebung der Haftungsbegrenzungen
Eine Aufhebung der Haftungsbegrenzungen ist vorgesehen, wenn bewiesen wird, dass der Verlust oder die Beschädigung der Ware absichtlich (Vorsatz) oder grob fahrlässig (qualifiziertes Verschulden das dem Vorsatz gleichsteht) verursacht worden ist.
Im Art. 29 CMR ist eine Aufhebung der Haftungsbegrenzungen vorgesehen, wenn der Schaden durch den Frachtführer oder seine Leute durch Vorsatz oder Verschulden, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht (qualifiziertes Verschulden), verursacht wurde.
Eine vertragliche Abweichung zu Gunsten des Frachtführers ist in der CMR und im italienischen Gesetz nicht gestattet.
1.6.4 »Colpa grave«
Der regressführende Kläger, der ein qualifiziertes Verschulden – »colpa grave« – also wörtlich eine schwerwiegende Schuld, die auch in Italien dem Vorsatz gleichstehen muss, nachweisen möchte, wird sich an folgende Orientierungspunkte der herrschenden Rechtsprechung halten müssen: Eine »colpa grave« wird anzunehmen sein, wenn der Frachtführer (oder sein Subunternehmer) bewusst, aber nicht vorsätzlich, mit außerordentlichem und unverzeihlichem Leichtsinn handelt und dabei nicht nur von der durchschnittlichen Sorgfalt des guten Familienvaters, sondern sogar von jener minimalen Sorgfalt abweicht, die jeder, im Verhältnis zur fachgemäßen Leistung, die zu erbringen ist, einhalten würde.
Dies ist seit Jahren die herrschende Meinung des Italienischen Kassationsgerichts
Ein qualifiziertes Verschulden bei Diebstahl wurde immer wieder ausgesprochen: wenn die Ware auf einem nicht überwachten Parkplatz für
eine längere Zeit aufbewahrt wurde; nachts oder auf abgelegenen Straßen wurde auch eine kurze Zeit (1 Stunde) als ausreichend beurteilt; ferner, wenn der Frachtführer nicht in der Lage war, zu sagen, unter welchen Umständen die Ware gestohlen wurde;
Bei Raub wird der Frachtführer von der verschuldensunabhängigen Haftung nur dann befreit, wenn der Raub in einer nicht vorsehbaren und deswegen nicht vermeidbaren Art und Weise verübt wurde Beim Transport einer Maschine, die vom Frachtführer nicht fest geankert worden war, wurde ein qualifiziertes Verschulden ausgesprochen Eine Geschwindigkeit von 84 km/h, bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von lediglich 40 km/h, dazu noch bei nasser Fahrbahn, wurde als Grund für ein qualifiziertes Verschulden gesehen, als die Ware in Folge eines Selbstunfalls zerstört wurde Ein Diebstahl im Zentrum von Mailand, vormittags, während einer kurzen Abwesenheit des Fahrers von zehn Minuten, während derer er andere Lieferungen in der Fußgängerzone zustellte, wurde nicht als qualifiziertes Verschulden gesehen obwohl kein Alarm eingeschaltet, sondern nur die Tür mit Schlüssel und die Hintertür mit Schloss geschlossen worden war.
1.7 Verjährungsfrist
Die sehr kurze Verjährungsfrist im Transportrecht spielt eine wichtige Rolle.
Der Versicherer wird nämlich unmittelbar prüfen, ob die Verjährungsfrist eingehalten worden ist (evtl. Hemmung).
1.7.1 Die Verjährungsfrist beim Transportvertrag in Italien: in der Regel ein Jahr (Art. 2951 codice civile) Die Ansprüche aus dem Transportvertrag verjähren im Regelfall gem. Art. 2951 codice civile7 innerhalb von einem Jahr nach Ablieferung oder geplanter Ablieferung, so wie auch im Art. 32/1 CMR geregelt. Nur ist gemäß der CMR teilweise ein anderer Fristbeginn vorgesehen.
1.7.2 Die Hemmung der Verjährung nach italienisches Recht Die Verjährung wird nach italienischem Recht, neben der Klageerhebung oder Anerkennung des Rechts, auch durch Einschreiben/Rückschein mit klarer Schadenersatzanforderung gehemmt Dadurch beginnt eine neue Verjährungsfrist von einem Jahr zu laufen. Diese Bestimmung trifft, gem. Art. 32 Abs. 3, auch bei Anwendbarkeit des CMR zu.
Es ist also absolut zu empfehlen, die Verjährung in Italien immer innerhalb eines Jahres nach Ablieferung durch Einschreiben mit Rückschein zu hemmen.
Bei Anwendbarkeit der Vorschriften zur CMR braucht man, durch obige Hemmung, nicht feststellen zu müssen, ob die Verjährung durch eine schriftliche Reklamation bis zu dem Tage gehemmt wurde, an dem der Frachtführer die Reklamation schriftlich zurückwies und die beigefügten Belege zurücksendete (Art. 32 Abs. 2 CMR); oder auch nicht zu prüfen, ob ein Fall von Vorsatzes oder einem Verschulden, das nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichsteht, vorliegt und deswegen die Frist auf drei Jahre zu verlängern ist (Art. 32 Abs. 1 CMR).
Laufende Verhandlungen sind nach italienischem Recht nicht hemmend.
Sehr oft beinhaltet eine Verkehrshaftungspolice des italienischen Frachtführers eine Befreiungsklausel des Versicherers, die greift, wenn der Regressanspruch gegenüber dem Subunternehmer durch eingetretene Verjährung nicht gewährleistet wird.
Eine außergerichtliche Regelung der Angelegenheit innerhalb der Verjährungsfrist sorgt auch dafür, dass der Versicherer obige Klausel keinesfalls geltend machen kann.
2. Gerichtliche Durchsetzung des Regressanspruchs
2.1 Die Voraussetzung zur Klageeinreichung
Das Dekretgesetz (decreto legge) 132 vom 12.09.2014 bestimmt im Art. 3, als ADR – Alternative Dispute Resolution, das bei gerichtlichem Antrag auf Zahlung einer Summe vonbis zu 50.000,00 € die Durchführung einer Verhandlung zwischen Anwälten prozessuale Voraussetzung zur Klageerhebung ist.
Ausgenommen sind die Materien, die schon einem obligatorischen Mediationsversuch, aus dem »decreto legislativo« (Gesetz) Nr. 28 vom 04.03.2010, unterstehen müssen. Keine dieser Materien aus Art. 5 betrifft das Transportrecht. In Frage käme eventuell Versicherungsrecht. Man kann aber auch dieses ausschließen, weil man davon ausgehen muss, dass die Versicherung des Frachtführers niemals direkt, an Stelle des Versicherungsnehmers, vom Regressführenden angeklagt werden kann. Bei einer Klage, die eine Zahlungsaufforderung von bis zu 50.000,00 € als Antrag vorsieht, ist es also auch im Transportrecht nötig, eine Verhandlung zwischen Anwälten zu führen.
Diese fängt mit einem Einschreiben mit Rückschein durch einen zur Formulierung des Mahnschreibens an den Antragsgegner gesondert ermächtigten Anwalt an. Das Schreiben muss auch vom Mandanten unterschrieben werden. Der Rechtsanwalt beglaubigt die Unterschrift des Mandanten.
Der Versuch, durch die Anwälte, zu einem außergerichtlichen Vergleich zu gelangen, kann als gescheitert angesehen werden, wenn innerhalb einer Frist von einem Monat (oder der längeren Frist von bis zu drei Monaten, die aus obigem Schreiben hervorgehen sollte) keine oder eine negative Antwort kommt.
Sollte die Klage ohne vorherigen anwaltlichen Versöhnungsversuch eingereicht werden, wird das Gericht im ersten Termin den Versuch einer Versöhnung anordnen. Bei einer Zahlungsaufforderung ab 50.000,01 € kann man selbstverständlich direkt klagen.
Der Gesetzgeber ist also davon ausgegangen, dass bei größeren Summen ein Vergleichsversuch ohnehin schon stattfinden wird.
2.2 Aktivlegitimation Man will hier der Einfachheit halber davon ausgehen, dass die Anzeigefrist und die Verjährungsfrist eingehalten wurden.
Nun bietet sich bei Klageerhebung zunächst einmal die Problematik der Aktivlegitimierung. Der Regressführer hat grundsätzlich drei Möglichkeiten:
1. Direkt klagen und durch Abtretung handeln;
2. Direkt aus gesetzlicher Bestimmung klagen;
3. Indirekt durch den Versicherungsnehmer klagen.
2.2.1 Direkte Klageführung durch Abtretung Nummer 1. ist ziemlich unproblematisch. Die Bekanntgabe der Abtretung beim Frachtführer kann auch mit der Klageschrift, der die Abtretung als Anlage beigefügt wird, erfolgen.
2.2.2 »Cessio legis«
Der gesetzliche Forderungsübergang (lat.: cessio legis) an den Versicherer ist, ähnlich § 86 Abs. 1 VVG, in Art. 19169 codice civile vorgesehen.
Die Versicherungspolice und eine Quittung über die bezahlte Entschädigung muss in diesem Fall bei Gericht eingereicht werden, um der Berechtigung Fuß zu geben.
Es sollte berücksichtigt werden, dass eine Zahlung an Dritte (z.B. di Muttergesellschaft) stets zu großen Komplikationen führen kann.
Ein kleiner psychologischer Vorteil beim Richter ist hier die logische Vermutung, dass der Versicherer und Regressführer bezahlt haben wird, weil das Recht und der Schaden des Versicherungsnehmer in ausreichendem Maß nachgewiesen gewesen sein muss. Dies reicht selbstverständlich nicht aus, um von der eventuellen Beweislast des qualifizierten Verschuldens oder sogar des Vorsatzes befreit zu werden.
2.2.3 Die indirekte Klageführung
Nummer 3. hat den nicht unerheblichen Vorteil einer absolut unbestreitbaren Berechtigung, weil der geschädigte Versicherungsnehmer
direkt vor Gericht erscheint. Die Zahlung einer im Urteil eventuell festgesetzten Summe erfolgt aber zunächst zu Gunsten des Versicherungsnehmers. Diese Konstellation bedarf einer gewissen Kooperation und eines gewissen Vertrauens zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer.
2.2.4 Die Aktivlegitimation beim Frachtführer
Auch der Frachtführer und seine Versicherung müssen ähnliche Probleme lösen.
Die Versicherung könnte dem Frachtführer anbieten, sich durch einen von der Versicherung bezahlten Anwalt vertreten zu lassen.
Kompetente Beratung des Frachtführers sollte aber davon Abstand nehmen, weil immer wieder im Nachhinein das Versprechen einer kompletten Abdeckung der eventuell im Urteil festgesetzten Entschädigung durch die Versicherung (sei es auch nur, weil Personalwechsel stattfinden könnte) nicht eingehalten wird.
Eine korrekte Gestaltung durch die Prozessparteien erfordert also, dass der Beklagte den Streit verkündet (Art. 106 c.p.c):
1. an seinen Versicherer;
2. an den eventuellen Subunternehmer (auch dieser könnte an seinen Versicherer verkünden).
Ein entsprechender Antrag muss in der ersten Klageerwiderung vom Beklagten innerhalb einer Frist von mindestens zwanzig Tagen vor dem ersten Termin eingereicht werden.
In Italien sind die meisten Prozessfristen als Notfristen zu sehen. Sollte also ein Antrag nicht innerhalb obiger Frist eingereicht werden, kann die Streitverkündung nicht mehr stattfinden (ein anderer Weg zum Ziel wäre dann: die Klage gegen den Dritten einreichen und die Vereinigung der zwei Verfahren beantragen).
Wenn alle Parteien dem Streit beigetreten sind, oder auch nicht, aber die Ladung formell korrekt ist, beginnt die Aufarbeitungsfase des Prozesses.
2.3 Lückenloser Nachweis des Schadens, der Kausalität und der Schadenshöhe
In dieser Phase wird sich der Kläger prinzipiell
– auf den Nachweis des Schadens,
– auf den direkten Zusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Schaden (Kausalität) und
– auf die Schadenshöhe konzentrieren.
Sehr oft können die Verhandlungen mit der gegnerischen Versicherung gerade bei der Ermittlung des Schadens scheitern, und auch deswegen sollte besonders darauf geachtet werden, dass die Beweislast hier ganz auf Seite des Klägers ist.
2.3.1 Gutachten durch »claim agent«
Die Chancen eines unbestreitbaren Nachweis dafür, dass der Schaden eingetroffen ist und gleichzeitig ein Beweis über dessen Höhe, sind, wenn ein fachliches Gutachten durch ein anerkannter und möglicherweise unabhängiger Havarie Kommissar (surveyor or claim agent) kurzfristig nach Schadensereignis- oder Feststellung nicht nur stattgefunden, sondern der Transporteur/Transportversicherer am Gutachten teilgenommen hat oder zumindest formell zur Teilnahme aufgefordert worden ist, ganz auf der Seite des Regressführenden.
2.3.2 Beweissicherungsverfahren
Bei besonders wichtigen oder komplizierten Schäden sollte man ein Beweissicherungsverfahren durchführen und dabei beachten, dass der Transporteur/Transportversicherer formell eingeladen wird, dem Verfahren beizutreten.
2.3.3 Beweis durch Unterlagen
Weiter sind Rechnungen der betroffenen Ware und die Rechnung über den Transport sowie Rechnungen über die entsprechende Ersatzlieferung oder die Kaufvertragskündigung vorzulegen.
Unterlagen zu verschrotteten Waren sind mit besonderer Sorgfalt zu erstellen, fotografisch zu dokumentieren und möglicherweise durch öffentlich bestellte Beamten zu bestätigen. Auch hier sollte man vor der Verschrottung den Frachtführer ausführlich und gesondert auch zusätzlich zu einer Besichtigung der Ware formell einladen. Eine Mitwirkungsklausel des Auftragsgebers, der normalerweise nach der Zahlung der Ware durch seine Versicherung kein besonderes Interesse an der Durchsetzung des Regressanspruchs zeigt, dürfte bei der Besorgung der Unterlagen behilflich sein.
2.3.4 Beweis durch mündliche Beweisanträge
Sehr wichtig, sogar oftmals entscheidend, sind, neben den eingereichten Unterlagen, teilweise auch zur Bestätigung des Inhalts der Unterlagen, die mündlichen Beweisanträge. Zur Vorlage dieser Anträge bei Gericht gibt es eine Frist, die als bsolute Notfrist zu sehen ist (Art. 183 c.p.c Para VI).
Unmittelbar im Rahmen des ersten Termins erteilt der Richter nämlich, auf Verlangen auch nur einer Partei, drei Notfristen zur Einreichung von Schriftsätzen:
– 30 Tage ab Termin zur eventuellen Änderung der Anträge (danach sind Änderungen nicht mehr zulässig und streng verboten);
– weitere 30 Tage zur Vorlage der mündlichen Beweisanträge und zur letztendlichen Einreichung von Unterlagen (danach dürfen keine mündlichen Beweisanträge mehr gestellt werden und keine bis dahin bekannte Unterlagen mehr eingereicht werden);
– weitere 20 Tage zur Erwiderung der gegnerischen mündlichen Beweisanträge.
In diesem Sinne herrschen große Differenzen im Vergleich zum deutschen Prozess, in dem stets Schriftsätze eingereicht werden können (auch die achttägige Frist vor Termin wird oftmals nicht eingehalten) und sogar die Änderung der Anträge flexibler gesehen wird, als im italienischen Prozess.
Sodann entscheidet der Richter über die Ermittlungsanträge. Diese Verordnung zeigt normalerweise, ob derjenige der eine Beweislast hatte, die richtigen Anträge gestellt hat oder nicht. Ein erfahrener Anwalt ersieht also aus obiger Verfügung des Richters bereits schon größtenteils den Wortlaut des künftigen Urteils.
Falls genehmigt, werden dann die Zeugen vor Gericht erscheinen und aussagen. Umso mehr Zeugen, umso komplizierter das Thema der Zeugnisse, umso länger die Dauer dieser Phase des Prozesses.
Eine komplizierte Ermittlungsphase, mit einem oder mehren Zeugen, die erst bei dritter oder vierter Ladung erscheinen, kann ein ganzes Jahr oder auch mehr ausmachen. Dasselbe gilt, wenn man die Zeugen gemütlich am Wohnort – sei es Italien (unüblich) oder im Ausland (üblich) – aussagen lassen möchte.
Bei Abschluss der Ermittlungsphase fängt zugleich, wenn kein amtl. Gutachten erstellt werden muss, die Entscheidungsphase an.
2.4 Die Entscheidungsphase
Diese besteht aus einem Termin, in welchem die Anträge der Parteien endgültig und nicht widerrufbar festgesetzt werden. Ab diesen Termin läuft eine Frist von normalerweise 60 Tagen (der Richter darf diese Frist abkürzen), um einen Schriftsatz, in dem abschließend die Fakten, die juristischen Argumente, die Prozess- bzw. Ermittlungsresultate zusammengefasst werden einzureichen.
Dann bekommen die Parteien eine letzte Frist von 20 Tagen zur schriftlichen Erwiderung.
Nun wird, in der Regel in einem Zeitraum von zwei bis vier Monaten (eine Frist gibt es in der ital. ZPO nicht) das Urteil geschrieben und veröffentlicht. Dabei handelt es sich in erster Instanz um ein Urteil durch einen Einzelrichter (wenige Argumente, meistens in Familiensachen, bedürfen des Kammergerichts auch in erster Instanz – das Kammergericht ist obligatorisch in zweiter Instanz beim OLG – Corte di Appello).
Das erstinstanzliche Urteil ist in Italien vorläufig vollstreckbar. Es sind von Anfang des Prozesses zwei bis vier Jahre vergangen.
Die große Differenz ist von der Ermittlungsphase und eventuellen Gutachten abhängig.
2.4.1 Das Eilverfahren aus Art. 702 bis c.p.c
Ein zeitlich überschaubarer Prozess ist ein Dokumentenprozess (also nur Unterlagen, ohne Zeugen, ohne Gutachter).
Bei einem solchen kann sogar, laut Art. 702 bis c.p.c., ein abgekürztes Verfahren beantragt werden. Man darf aber obiges abgekürzte Verfahren nicht mit einem Verfahren wegen Antrag auf einstweilige Verfügung verwechseln (Art. 700 c.p.c).
Im Verfahren aus 702 bis muss nämlich keine Dringlichkeit nachgewiesen werden.
Durch Rekurs wird ein Antrag bei Gericht eingereicht. Der beauftragte Einzelrichter entscheidet über einen Termin, der normalerweise innerhalb von ca. drei bis sechs Monaten stattfinden soll. Beim Termin wird unmittelbar die Entscheidung getroffen (Dauer ca. acht Monate bis 1 Jahr), es sei denn, der Einzelrichter ist der Meinung, dass die Voraussetzungen des »702 bis« nicht vorhanden sind. Dann würde man nämlich das Verfahren durch Beschluss in ein ordentliches Verfahren umwandeln. Eine große Rolle in der Wahl der Art der Klageschrift (»ricorso « – Rekurs oder »atto di citazione« – ordentliche Klageschrift) wird die behauptete Haftung des Frachtführers spielen. Ein Dokumentenprozess dürfte wohl beim hohen Target, der ein qualifiziertes Verschulden nachweisen soll, schwer durchsetzbar sein, weil stets die beim Kläger liegende Beweislast der schwerwiegenden Schuld oder des Vorsatzes nur durch mündliche Aussagen eingehalten werden kann.
3. Die voraussichtlichen Kosten einer Klage in Italien
3.1 Fachmännische Beurteilung der Erfolgsaussichten
Sollte es nun doch nicht zu einem befriedigenden außergerichtlichen Angebot seitens des Versicherer des Frachtführers kommen, muss man fachmännisch beurteilen, ob Vorsatz oder Verschulden vorhanden ist und ob bejahendenfalls der »gängige Preis der beförderten Sachen« (normalerweise der in den Rechnungen ausgewiesene Nettokaufpreis minus Transportkosten) in einem akzeptablen Verhältnis zu den voraussichtlichen Streitkosten steht.
Falls man von Anfang an mit einer begrenzten Haftung und dadurch mit einer begrenzten Entschädigung rechnen muss, sollte erst Recht zuvor eine Prognose der erzielbaren Entschädigung und der nötigen Streitkosten durch kompetente Beratung gemacht werden.
Als allererstes wird man ausfindig machen müssen, ob CMR angewendet werden kann oder das italienische Recht in Frage kommt. Der Unterschied wäre hier bis zu ca. 1:10, weil das italienische Recht nur 1 € vorsieht gegen maximal ca. 10 € gemäß CMR pro Kilogramm des Rohgewichts.
Es ist selbstverständlich, dass schwere, ausreichend wertvolle Güter erfolgsversprechender sind.
3.2 Die Gerichtskosten
Die Gerichtskosten bei Klageerhebung in Italien gegen den Frachtführer sind erheblich niedriger als die deutschen.
Bei Streitwert: 100.000,00 €
Gerichtskosten Deutschland: € 3.079,00
Gerichtskosten Italien: € 759,00
Bei Streitwert: 200.000 €
Gerichtskosten Deutschland: € 5.239,00
Gerichtskosten Italien: € 759,00
3.3 Die Anwaltskosten
Die Anwaltskosten sind im Gegenteil wesentlich höher bei italienischen Anwälten.
Diese Kosten sind jedenfalls absolut überschaubar.
Im Gegensatz zu früher wurden durch das am 23.08.2012 in Kraft getretene Ministerialdekret Nr. 140/2012 erheblich vereinfachte Bemessungskriterien für die Gebühren italienischer Anwälte festgelegt.
Für jede Prozessphase (»Einarbeitung in den Rechtsstreit«/ studio della controversia, »Verfahrenseinleitung«/fase introduttiva del giudizio, »Aufarbeitungsphase«/fase istruttoria, »Entscheidungsphase«/fase decisoria, »Vollstreckungsphase«/ fase esecutiva,) sind Pauschalbeträge vorgesehen.
Diese dürfen vom Richter reduziert oder erhöht werden. In der Regel hält sich jedenfalls der Richter an diese festen Pauschalbeträge. Bei einer vergleichsweisen Regelung erhöht sich die Vergütung um bis zu 40 %. Die Höhe der gesetzlichen Vergütung kann man nach Sparten unter »http://www.consiglionazionaleforense.it/site/home/areaavvocati/parametri.html« finden.
Prozesskostenrisiko:
Bei Streitwert 100.000,00 €
Deutschland: Italien
Eigene Anwaltskosten ca. 4.000,00 € 13.500,00 €
Fremde Anwaltskosten ca. 4.000,00 € 13.500,00 €
Gerichtskosten 3.079,00 € 759,00 €
Bei Streitwert 200.000,00 €
Deutschland: Italien
Eigene Anwaltskosten ca. 6.000,00 € 13.500,00 €
Fremde Anwaltskosten ca. 6.000,00 € 13.500,00 €
Gerichtskosten 5.239,00 € 759,00 €
Das Risiko kann beim eigenen Anwalt durch eine Honorarvereinbarungreduziert werden. Beim fremden Anwalt wirdder Richter allerdings die gesetzliche Vergütung anwenden. Hier kann man das Risiko fast auf Null reduzieren, wennman auf eine Entschädigung im Rahmen der Haftungsbegrenzungklagt.
Ganz genau sollte man es sich überlegen, wenn man ein Vorsatzoder gleichstehendes Verschulden des Frachtführers geltendmachen möchte. Sollte der vom Kläger zu beweisende Vorsatz oder Verschulden des Frachtführers nicht nachgewiesen werden können, würden auch die fremden Anwaltskosten und selbstverständlich die Gerichts- und Gutachterkosten vom Kläger zu tragen sein.
Eine Klage wegen qualifiziertem Verschulden muss also kompetente Beratung voraussetzen.
3.4 Die Übersetzungskosten
Zu den wichtigen Kosten gehören auch die Übersetzungskosten der innerhalb der Frist einzureichenden Unterlagen.
Diese Kosten kann man bis zur Frist versuchen zu sparen (also im Fall einer gütlichen Einigung). Man könnte auch noch rein theoretisch beantragen, dass der Richter die Übersetzung bei einem amtlich bestellten Gutachter in Auftrag gibt. Hier kommen aber erfahrungsgemäß unüberschaubare Kosten und lange Bearbeitungszeiten zu Stande.
4.4. Ergebnis: Die Durchsetzung des Regressanspruchs lohnt sich, wenn man die Voraussetzungen für einen Erfolg von Anfang an erarbeitet
Man kann also zusammenfassend feststellen, dass sich die Durchsetzung eines Regressanspruchs in Italien, unter bestimmten Voraussetzungen, lohnen kann. Wichtige Faktoren sind die Einhaltung der Fristen, die Vorbereitung mangelfreier Unterlagen, die formelle Ladung des Frachtführers zur Besichtigung der geschädigten Ware, die schnelle Bearbeitung der Akte (möglichst innerhalb der Jahresfrist). Sollte es zum Streit kommen, benötigt man kompetente fachmännische Beratung, die als allererstes die Haftungsfragen einschätzen kann und danach Kostenrisiko und konkrete wirtschaftliche Erfolgsaussichten vergleicht. Dabei spielt die Zahlungsfähigkeit des beklagten Frachtführers, vor allem wenn seine Versicherung von Anfang an eine Deckungszusage bestreitet, eine wichtige Rolle, um einen möglichen Pyrrhus-Sieg zu vermeiden.
Arturo Gioffredi